pm tagfalter 25.5.2020
Die Raupen des Schwalbenschwanz sind charakteristisch gezeichnet und können so groß wie ein kleiner Finger werden.

Seitenweise Schmetterlinge

Erster gesamtdeutscher Atlas der Tagfalter und Widderchen erschienen


Tagfalter und Widderchen verzeichnen regional seit 1840 einen Rückgang um 40 Prozent. Von den 184 in Deutschland vorkommenden Tagfalterarten stehen 99 Arten auf der Roten Liste, 5 Arten sind bereits ausgestorben, sowie 12 weitere Arten vom Aussterben bedroht. Der neue „Verbreitungsatlas der Tagfalter und Widderchen Deutschlands“, entstanden unter Mitherausgabe und -arbeit von Senckenberg-Forschenden, zeigt auf 430 Seiten aktuelle Trends in der deutschen Schmetterlings-Welt. Erstmalig gibt es damit einen detaillierten gesamtdeutschen Überblick über die Vorkommen dieser populären Insekten.

Wo kann ich einen Apollo-Falter in freier Natur beobachten? Wie erkenne ich einen Schwalbenschwanz? Welche Arten flattern durch welche Regionen? Welche Tagfalter sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden, welche haben noch eine Überlebenschance? Und wo haben sich Neuankömmlinge etabliert?
Solche Informationen bietet der neue „Verbreitungsatlas der Tagfalter und Widderchen Deutschlands“ nicht nur für die 184 in Deutschland heimischen Tagfalter-Arten. Vertreten sind auch die 24 verschiedenen Widderchen, die tagsüber aktiv sind, wenngleich sie eigentlich zu den Nachtfaltern gehören. Jede dieser insgesamt 208 Arten stellen die Autor*innen mit attraktiven Fotos und einem kurzen Portrait vor, in dem Informationen zu Lebensräumen und Biologie, Gefährdung und Schutz zusammengefasst sind. Vor allem aber gibt es für die Tagfalter detaillierte Verbreitungskarten, die in zehn mal zehn Kilometer große Quadrate unterteilt sind. In jedem davon verrät ein Symbol, ob die Art dort bis zum Jahr 1900, in verschiedenen Abschnitten des 20. Jahrhunderts oder nach dem Jahr 2000 nachgewiesen wurde.

All diese Informationen zusammenzutragen war allerdings eine große Herausforderung. „Als wir vor etwa zehn Jahren die Idee und das Konzept für den Atlas entwickelten, war nicht abzusehen, welchen materiellen, technischen, personellen und administrativen Aufwand es zu bewältigen galt“, sagt Erst-Autor Rolf Reinhardt aus dem sächsischen Mittweida, als Vertreter der Entomofaunistischen Gesellschaft. Nur dank der meist ehrenamtlichen Mitarbeit zahlreicher Falter-Enthusiast*innen aus ganz Deutschland habe man das Mammut-Projekt überhaupt realisieren können.

Denn hinter jedem Punkt auf der Karte steckt enorm viel Arbeit und Erfahrung. Schließlich galt es, möglichst zahlreiche Informationen über die Vorkommen der einzelnen Arten auszuwerten, auf ihre Plausibilität und Aktualität zu prüfen und wenn möglich auch über längere Zeiträume zu vergleichen. Da Tagfalter populäre Insekten sind, gibt es zu diesem Thema auch reichlich Beobachtungen. Landesämter und Behörden haben ebenso Daten zusammengetragen wie Vereine, Museen, Arbeitsgemeinschaften, wissenschaftliche Projekte oder Bürgerwissenschaftler*innen – letztere vor allem in dem Citizen Science Projekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“.

Mehr als sechs Millionen Datensätze wurden im Laufe der Jahre aufbereitet. Mit ihrer Hilfe ist es nun zum ersten Mal gelungen, einen kompletten Überblick über die Vorkommen sämtlicher Tagfalter und Widderchen Deutschlands zu gewinnen. Das einzige vergleichbare Werk, das es bisher gab, stammte noch aus den 1980er Jahren und beschränkte sich auf das Gebiet der DDR. Ansonsten war die Falter-Welt nur für einzelne Bundesländer oder Regionen genau erfasst worden. „Solche präzisen Verbreitungsdaten sind ein Schlüssel zur Analyse der Auswirkungen von Klimaveränderungen auf Artengemeinschaften“, erläutert Mitherausgeber Dr. Martin Wiemers vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg.

In dem neuen Atlas tauchen auch Tagfalter auf, die bis vor kurzem in Deutschland gar nicht bekannt waren. Der wärmeliebende Karst-Weißling, dessen Raupe inzwischen auf Schleifenblume und Wilder Rauke in Gärten lebt, ist zum Beispiel erst im Jahr 2008 aus der Schweiz eingewandert und breitet sich nun auch hierzulande aus.
„Die Karten zeigen aber auch sehr deutlich, wo welche Arten im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwunden sind“, erklärt Schmetterlingsexperte Prof. Josef Settele vom beteiligten Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Das sei vor allem für den Naturschutz interessant. So werde man bei der Erstellung künftiger Roter Listen auf diese Informationen zurückgreifen. „Und wir können auch leicht erkennen, welche Regionen eine besondere Verantwortung für den Erhalt bestimmter Arten haben.“
Vom Blauschillernden Feuerfalter zum Beispiel gibt es größere Vorkommen nur noch in der Eifel und im Westerwald sowie im Voralpenraum. Falls die Schutzmaßnahmen für den Feuchtgebietsbewohner dort nicht greifen sollten, hat Deutschland in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft eine Falterart weniger.

Publikation
Verbreitungsatlas der Tagfalter und Widderchen Deutschlands. Rolf Reinhardt (Hrsg.), Alexander Harpke, Steffen Caspari, Matthias Dolek, Elisabeth Kühn, Martin Musche, Robert Trusch, Martin Wiemers, Josef Settele. 2020. 430 S., 568 Farbfotos, 218 farbige Verbreitungskarten, Ulmer Verlag, geb. ISBN 978-3-8186-0557-5.
€ 49,95. ET-Ist: 14.05.2020

Pressematerial

pm tagfalter 25.5.2020

In Europa stark bedroht und streng geschützt: Der Apollo-Falter.
Foto: Martin Wiemers, Senckenberg

pm tagfalter 25.5.2020

Die Raupen des Schwalbenschwanz sind charakteristisch gezeichnet und können so groß wie ein kleiner Finger werden.
Foto: Martin Wiemers, Senckenberg

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Bis vor kurzem in Deutschland unbekannt: der Karst-Weißling.
Foto: Martin Wiemers, Senckenberg

pm tagfalter 25.5.2020

Vom Blauschillernden Feuerfalter gibt es größere Vorkommen nur noch in der Eifel, im Westerwald sowie im Voralpenraum.
Foto: Martin Wiemers, Senckenberg

pm tagfalter 25.5.2020

Mitherausgeber Dr. Martin Wiemers vom Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg.
Foto: Berit Küster, Senckenberg