Qual der Wahl: In welche Naturschutzgebiete sollte zukünftig investiert werden?
Neues Online-Tool bietet transparente Auswahlmöglichkeit für Entscheider*innen, um das 30x30-Ziel zu erreichen
Die Einrichtung und Erhaltung von Schutzgebieten ist eine Schlüsselmaßnahme zur Erreichung der während der Weltnaturkonferenz im Dezember 2022 festgelegten Ziele. Doch solche geschützten Areale müssen oft vielfältige Ziele, wie Klimaschutz oder Schutz der Artenvielfalt, erfüllen – dies führt nicht selten zu Konflikten zwischen verschiedenen Interessensgruppen. Senckenberg-Forschende plädieren in ihrer gerade im Fachjournal „One Earth“ erschienenen Studie für eine flexible und transparente Auswahl von Schutzgebieten für die Verteilung von knappen Naturschutzgeldern. Ein neu von ihnen entwickeltes Online-Instrument ermöglicht die Gewichtung verschiedener Erhaltungsziele sowie den Echtzeitvergleich der Ergebnisse auf globaler Ebene.
Nur etwa 6 Prozent der Landesfläche Deutschlands sind aktuell streng geschützte Naturschutzgebiete, weltweit sind circa 17 Prozent der Landfläche und 8 Prozent der Küsten- und Meeresgebiete geschützt. Laut den Beschlüssen der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent terrestrische und marine Gebiete zu Schutzgebieten werden. „Von diesen Flächen wird erwartet, dass sie eine Vielzahl von Zielen erfüllen: vom Schutz der biologischen Vielfalt über die Erbringung von Ökosystemleistungen bis hin zur Eindämmung des Klimawandels. Doch welche Gebiete sollten besonders nachhaltig finanziert werden, weil sie besonders nützlich für die Biodiversitätsziele sind?“, erläutert Erstautorin der Studie Dr. Alke Voskamp vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt (SBiK-F) das Dilemma des Entscheidungsprozesses und fährt fort: „Da das verfügbare Land und die Mittel für den Naturschutz begrenzt sind, ist eine Optimierung der Auswahl der vorteilhaftesten Schutzgebiete von entscheidender Bedeutung.“
Gemeinsam mit weiteren Senckenberg-Forschenden und internationalen Kolleg*innen – unter ihnen die Träger*innen des Deutschen Umweltpreises Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese (SBiK-F) und Dr. Christof Schenck (Zoologische Gesellschaft Frankfurt, ZGF) – hat Voskamp nun ein Entscheidungshilfsinstrument entwickelt. „Wir präsentieren einen flexiblen und transparenten Ansatz zur Auswahl von Schutzgebieten auf Grundlage mehrerer Zielsetzungen. Dieser ermöglicht es, Synergien und Zielkonflikte im Zusammenhang mit der Auswahl von Schutzgebieten aufzuzeigen und hilft so transparente Entscheidungen zu treffen“, so Zweitautorin Prof. Dr. Susanne Fritz, SBiK-F und Goethe-Universität Frankfurt.
Denn die Auswahl des passenden, zukünftig und dauerhaft unter Schutz zu stellenden Areals ist nicht einfach: Schutzgebiete mit dem Fokus auf besonders artenreiche Regionen müssten beispielsweise in den Anden, der ostafrikanischen Grabenzone oder am Südabhang des Himalayas liegen. Seltene und endemisch lebende Tiere und Pflanzen findet man dagegen eher in Insel-Ökosystemen, wie auf Madagaskar. „Und wenn es um große, nahezu unberührte Lebensräume geht, müssten die Schutzgebiete in den hohen Norden nach Russland oder Kanada gelegt werden“, ergänzt Böhning-Gaese, SBiK-F.
Die aktuelle Version des Entscheidungshilfe-Tools enthält 1347 potentielle Schutzgebiete, die sich an den Kriterien des ebenfalls an der Studie beteiligten „Legacy Landscapes Fund“ (LLF) orientieren. Der LLF ist eine internationale Stiftung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2030 den Schutz von mindestens 30 Gebieten mit außergewöhnlicher Artenvielfalt dauerhaft zu finanzieren. Die Nutzer*innen können mit einem Schieberegler sechs Erhaltungsziele – Biodiversität, ökologische Unversehrtheit, Klimastabilität, Landnutzung, Klimaschutz und Größe des Gebiets – kombinieren und gewichten.
„Wenn beispielsweise die Gewichtung für ‚Biologische Vielfalt‘ und ‚ökologische Unversehrtheit‘ gleichwertig sind, zeigt unser Instrument für den südamerikanischen Kontinent eine Liste von Schutzgebieten in spezifischer Rangfolge an. Tauscht man Unversehrtheit mit Klimaschutz, fällt die Liste und Rangfolge anders aus, erklärt Mitautor Schenck, Direktor der ZGF und weiter: „Unsere Arbeit zeigt vor allem, dass es weltweit einen diversifizierten Naturschutzansatz braucht, da kein Gebiet der Erde alle Schutzziele erfüllen kann.“
„Wir erhoffen uns, dass unser neues Instrument Entscheidungsträger*innen dabei hilft, die besten Gebiete für die Erhaltung der Biodiversität auszusuchen – nach den für die jeweiligen Entscheidungsträger*innen wichtigsten Kriterien, basierend auf den besten wissenschaftlichen Daten. Das 30×30-Ziel mit der richtigen Auswahl und Ausstattung der Schutzgebiete wird den Artenschutz enorm voranbringen und gleichzeitig noch einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten!“, schließt Voskamp.