Stierkäfer

Kotfressender Kraftprotz: Der Stierkäfer wird „Insekt des Jahres 2024“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Bundesumweltministerin Steffi Lemke übernimmt Schirmherrschaft


Heute wurde der Stierkäfer zum „Insekt des Jahres 2024“ gekürt. Das Kuratorium unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Thomas Schmitt, Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg, wählte die unter Naturschutz stehende Mistkäferart aus einer Reihe von Vorschlägen. Der glänzend schwarze Käfer ernährt sich vom Kot pflanzenfressender Tiere und besetzt damit eine Schlüsselrolle in Ökosystemen. Durch den zunehmenden Einsatz von Arzneimitteln bei Weidetieren sowie deren ansteigende Stallhaltung, verzeichnen die Mistkäferbestände in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Rückgang. Die Schirmherrschaft für das „Insekt des Jahres 2024“ übernimmt Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

Ein Ungeheuer ist der schwarz glänzende, zwischen 14 und 20 Millimeter große Stierkäfer (Typhaeus typhoeus) nicht, auch wenn er seinen wissenschaftlichen Namen dem Typhon, einem Riesen mit hundert Drachenköpfen aus der griechischen Mythologie verdankt. „Der deutsche Trivialname ist da schon passender und zielt auf die drei ‚Hörner‘ der männlichen Käfer im vorderen Bereich des Halsschildes ab, von denen die beiden äußeren – wie beim Stier – nach vorne gerichtet sind. Diese hornartigen Verlängerungen werden von den Insekten beim Kampf mit Rivalen und zum Schutz ihrer Nistplätze eingesetzt“, erklärt Prof. Dr. Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg sowie Vorsitzender des Kuratoriums und begründet die Wahl: „Die koprophagen, also kotfressenden Tiere sind für unsere Ökosysteme enorm wichtig, da sie dafür sorgen, dass die Hinterlassenschaften von pflanzenfressenden Tieren schnell entsorgt werden und sich keine Parasiten ansiedeln können.“

Der von Nordafrika über Westeuropa bis ins östliche Mitteleuropa verbreitete Stierkäfer ist der Kraftprotz unter seinesgleichen: Die Mistkäferart kann mehr als das 1000-fache ihres eigenen Körpergewichts ziehen. Diese Stärke nutzen die Käfer, um Kot von Kaninchen, Rehen, Rindern, Schafen oder Pferden in Form einer Kugel als Nahrung für ihren Nachwuchs in die engen Gänge ihrer Brutkammern zu schieben. Stierkäfer graben dafür nach der Paarung einen etwa ein bis zwei Zentimeter breiten und bis 1,50 Meter tiefen Schacht in den lockeren Boden. Die Seitengänge enden jeweils in einer Kammer; dort wird der eingebrachte Kot zu einer Pille geformt, neben der das Weibchen das Ei ablegt. Aus dem Ei schlüpft die Stierkäfer-Larve, die zur Brutpille kriecht und sich dort ernährt. Nach etwa einem Jahr ist die Entwicklung der Käfer abgeschlossen.

Annähernd 10.000 Arten koprophager Käfer sind weltweit bekannt, in Mitteleuropa sind es etwa 130 Arten. Von diesen gehören zwölf – wie auch der Stierkäfer – zur Familie der Mistkäfer. „Koprophage Käfer sorgen dafür, dass frischer Kot, vor allem von Säugetieren, relativ rasch – bei uns in der Regel innerhalb weniger Tage – von der Bodenoberfläche verschwindet. Dadurch wird der Nährstoffkreislauf zugunsten des Pflanzenwachstums geschlossen“, erklärt Werner Schulze, Mitglied des Kuratoriums vom NABU und fährt fort: „So regulieren die Käfer auch die Entwicklung von parasitischen Würmern und Fliegen im Säugetierkot, fördern den Transport von Pflanzensamen und reduzieren die Emission von Treibhausgasen vor allem aus Kuhfladen.“ Allein in Großbritannien wurden die kostenfreien Dienstleistungen der kotfressenden Käfer auf über 400 Millionen Euro pro Jahr berechnet. „Allerdings werden diese Ökosystemleistungen nur erbracht, wenn die Fäkalien von Weidevieh stammen. Gülle und Mist von Tieren aus Stallhaltung können praktisch nicht von den nachtaktiven, eher versteckt lebenden Käfern verwertet werden“, so Schmitt.

Seit Mitte der 1980er Jahre verzeichnen Entomolog*innen und Ökolog*innen weltweit einen starken Rückgang der Populationen vieler Mist- und Dungkäfer. Der Auslöser: Halter*innen von Weide- und anderen Großtieren waren dazu übergegangen, ihre Tiere nicht nur bei akuten Krankheiten und Parasitenbefall medikamentös zu behandeln. So werden besonders Anti-Wurmmittel weltweit noch immer regelmäßig auch prophylaktisch verabreicht. „Da die Wirkstoffe von den behandelten Tieren ausgeschieden werden, wirken sie über die eigentlichen Zielorganismen hinaus – mit Folgen für alle im Kot lebenden oder sich davon ernährenden Insekten. Das hat zur Folge, dass koprophage Käfer absterben oder nur noch eingeschränkt reproduzieren“, ergänzt Schulze.

„Dung- und Mistkäfer gehören zu den am stärksten bedrohten Gruppen unter den Insekten. Der Rückgang der Käfer wird von der Wissenschaft als ein wesentlicher Teil des weltweiten dramatischen Verlustes der Insektenfauna eingestuft“, warnt Schmitt und resümiert: „In Mitteleuropa sind zur Erhaltung oder Wiederherstellung einer naturnahen und wirkungsvollen Koprophagenfauna mehrere Maßnahmen erforderlich. Dazu zählt die Reduktion von Antiparasitika bei Haus- und Nutztieren – vor allem dürfen diese Mittel nicht mehr rein prophylaktisch verabreicht werden. Nutztiere sollten zudem – wo möglich – wieder zu Weidegängern werden. Stallhaltung muss die Ausnahme, nicht die Regel sein. Hoffen wir, dass der Stierkäfer zu einem guten Botschafter für die wichtige Rolle der kotfressenden Käfer wird.“

Das Insekt des Jahres wird seit 1999 proklamiert. Die Idee hierzu stammte vom Prof. Dr. Holger Dathe, damaliger Leiter des heutigen Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg. Ein Kuratorium, dem namhafte Insektenkundler*innen und Vertreter*innen wissenschaftlicher Gesellschaften und Einrichtungen angehören, wählt das Insekt jedes Jahr aus verschiedenen Vorschlägen aus.

Pressematerial

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Insekt des Jahres 2024: Der Stierkäfer (Typhaeus typhoeus). Foto: Patrick Urban

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Pärchen des Stierkäfers: links ein Männchen mit ausgeprägten „Hörnern“, rechts ein Weibchen. Foto: Patrick Urban

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Dung- und Mistkäfer, wie der Stierkäfer, gehören zu den am stärksten bedrohten Gruppen unter den Insekten. Foto: Patrick Urban