Invasive Arten in Europa: Kostensteigerung um über 500 Prozent
Wirtschaftliche Auswirkungen biologischer Invasionen in der Europäischen Union werden besorgniserregend unterschätzt
Biologische Invasionen stellen eine große Bedrohung für die Ökosysteme, die biologische Vielfalt und das menschliche Wohlergehen dar und verursachen weltweit enorme wirtschaftliche Kosten. Eine neue Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Environmental Sciences Europe“, beleuchtet die wirtschaftlichen Auswirkungen, die durch biologische Invasionen in der Europäischen Union entstehen. Die Forschenden – unter ihnen Senckenberg- Wissenschaftler Dr. Phillip Haubrock – zeigen, dass aktuell nur für zwei Prozent der etablierten invasiven Arten Kosten ermittelt wurden und sich die Ausgaben in der Europäischen Union auf eine potenzielle Gesamtsumme von über 26,64 Milliarden Euro belaufen.
Europa ist seit jeher ein Zentrum des Handels, der Migration und des Tourismus. „Dies macht sowohl Kontinentaleuropa als auch die Europäische Union mit ihren derzeit 27 Mitgliedstaaten auch besonders anfällig für biologische Invasionen“, erklärt Dr. Phillip Haubrock vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Wir wissen, dass es in der EU tausende gebietsfremde Arten gibt – Spezies, die in der Regel vom Menschen außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets eingeführt wurden. Für viele dieser Tiere und Pflanzen gibt es jedoch keinerlei Dokumentation für die wirtschaftlichen Kosten, welche diese bereits verursachen. In Frankreich beispielsweise gibt es 2.621 nachgewiesene invasive Arten, aber nur für 98 Arten wurden die entstehenden Kosten ausgewiesen – das führt zu einer enormen Unterschätzung der tatsächlichen finanziellen Verluste!“
Um diese Lücke zu schließen, hat ein Forschungsteam rund um die Erstautorin der Studie Dr. Morgane Henry von der McGill Universität im kanadischen Montreal die wirtschaftlichen Kosten biologischer Invasionen in der Europäischen Union mit Hilfe von Prognosemodellen quantifiziert. „Unsere Ergebnisse sind alarmierend: Von den rund 13.000 bekannten invasiven Arten in der Europäischen Union wurden nur für 259 – rund 2 Prozent – die verursachten Kosten gemeldet. Das zeigt die erheblichen Wissenslücken bei der Kostenbewertung“, ergänzt Haubrock.
Die Modelle der Forscher*innen ergaben, dass – basierend auf den Daten von 49 Arten – die nicht gemeldeten Schäden potenziell 501 Prozent höher sind als die derzeit erfassten Kosten und sich in der Europäischen Union auf 26,64 Milliarden Euro belaufen. Die höchsten finanziellen Verluste entstehen dabei in Litauen, Malta und der Tschechischen Republik. Haubrock fügt hinzu: „Die Projektionen unserer Studie zeigen zudem einen erheblichen Anstieg der besonders kostspieligen Arten – bis 2040 könnten die Gesamtschäden demzufolge auf eine schwindelerregende Summe von über 142,73 Milliarden Euro ansteigen.“
In ihrer Studie fordern die Forschenden daher koordinierte internationale Maßnahmen zur Verhinderung und Verringerung der Invasions-Folgen in der EU. Die Länder müssten zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass neue schädliche invasive Arten eingeschleppt werden und um die bereits vorhandenen Invasoren zu kontrollieren, so das Forschungsteam. Morgane Henry fasst zusammen: „Unsere Studie zeigt, dass die wirtschaftlichen Kosten biologischer Invasionen in der Europäischen Union schockierend unterschätzt werden. Diese Ausgaben stellen nicht nur eine enorme Belastung für die Wirtschaft Europas dar, sondern gefährden auch das ökologische Gleichgewicht und unser Wohlergehen. Es ist zwingend erforderlich, dass wir unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Kostenberichterstattung zu verbessern, die wichtigsten wirtschaftlichen Auswirkungen zu ermitteln und auf globaler Ebene zusammenzuarbeiten, um der Bedrohung durch invasive gebietsfremde Arten zu begegnen. Politik, Wissenschaft und alle anderen Interessengruppen müssen hier an einem Strang ziehen!“
Publikation
Henry, M., Leung, B., Cuthbert, R.N. et al. Unveiling the hidden economic toll of biological invasions in the European Union. Environ Sci Eur 35, 43 (2023). https://doi.org/10.1186/s12302-023-00750-3