Senckenbergs historische Dioramen
Das Ostafrika-Diorama wurde 1908 eröffnet. Die Szenerie im Hintergrund erschuf der Heddernheimer Maler Carl Nebel (1865–1939).

Illusionistische Schaukästen der Natur

Neues Senckenberg-Buch „Senckenbergs historische Dioramen“ erschienen


Sie erschaffen die Illusion eines Lebensraumes, sind echte Kunstwerke mit langer Geschichte und gehören weltweit zu den Hauptattraktionen in Naturkundemuseen: Dioramen. Wie eine Art Bühnenbild stellen sie die Tier- und Pflanzenwelt eines Ökosystems dreidimensional und naturgetreu nach. Im heute erschienenen Senckenberg-Buch „Senckenbergs historische Dioramen“ gibt der langjährig bei Senckenberg beschäftigte Zoologische Präparator Udo Becker einen Einblick in die Entstehung dieser einzigartigen Naturszenen im Frankfurter Naturmuseum, die zum großen Teil bis heute zu sehen sind. Dabei rollt er neben der Geschichte der Dioramen auch die des ersten Museums am Eschenheimer Turm – dessen Gründung vor 200 Jahren 2021 gefeiert wird – und des neu erbauten Museums an der Senckenberganlage auf. Zudem stellt er Techniken beim Aufbau und der Präparation von Dioramen vor.

Ein Giraffenjunges trinkt auf weit gespreizten Beinen an einer Wasserstelle, beschützt von der Mutter und dem riesigen, fast viereinhalb Meter großen Giraffenbullen, der in einiger Entfernung wartet. Antilopen und Gazellen umringen die Gruppe, Affen klettern umher, ein Waran liegt in der Abendsonne. Am Horizont leuchten die schneebedeckten Gipfel des Kilimandscharo-Massivs. Am 13. Oktober 1908 konnten die Besucher*innen das erste Diorama im neu erbauten Museum an der Senckenberganlage bestaunen und wie durch ein Fenster in eine ferne Welt blicken. Dem „Ostafrika-Diorama“ folgten 1910 das Diorama „Arktische Gruppe“, das das Tierleben im Grönländischen Eismeer zeigte, sowie 1935 die „Frankfurter Urlandschaft“ und 1936 das „Riesenelch-Diorama“. Diese eindrucksvollen Momentaufnahmen der Tier- und Pflanzenwelt, exisitieren heute leider nicht mehr – sie wurden im zweiten Weltkrieg zerstört. Die von 1936 bis 1942 nach und nach eröffneten zehn kleineren Dioramen „Tiere der Heimat“ wurden nach dem Krieg wieder aufgebaut und sind heute mit fünf neu gestalteten Lebensgruppen in ähnlicher Weise im Senckenberg Naturmuseum zu sehen.

Der Entstehungsgeschichte der Senckenberg-Dioramen ist Autor Udo Becker in seinem Buch nachgegangen. Er erläutert detailliert die Entscheidungsprozesse der beteiligten Direktoren und Mitarbeiter*innen vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse, schildert die Herkunft der Exponate und die Arbeit der Präparatoren und Künstler. Anekdoten machen die Geschichte der Dioramen lebendig. So erfahren die Leser*innen, dass sich die Präparationswerkstatt für die Arbeit am Giraffenbullen des Ostafrika-Dioramas als zu niedrig erwies. Kurzerhand wurde ein Loch in die Decke geschlagen, so dass der Kopf der Giraffe vom oberen Raum präpariert werden konnte. Ebenso bemerkenswert ist die Geschichte des Dioramas „Frankfurter Urlandschaft“. Dieses zeigte die Umgebung am heutigen Standort des Senckenberg Naturmuseums vor mehreren tausend Jahren: Ein sumpfiger See, an dessen Uferzone Elche und Biber lebten. Im Vordergrund die Skelette eines Auerochsen und eines Wildhundes, die im Morast versanken. Die rund 11.000 Jahre alten Skelette wurden 1914 bei Ausschachtungsarbeiten neben dem heutigen Museum gefunden und sorgfältig geborgen.

Ergänzt wird die Geschichte der Dioramen durch Informationskästen zu beteiligten Persönlichkeiten wie Präparatoren, Künstlern und Museumsdirektoren. Den Rahmen setzen Kapitel zur allgemeinen Historie der Dioramen, der Entwicklung der Schausammlungsinhalte und der Ausstellungskonzeption in naturkundlichen Museen, Erläuterungen der Präparationstechniken sowie eine Zusammenfassung der

Geschichte der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und dem Frankfurter Senckenberg Naturmuseum. Historische Fotografien, zahlreiche Skizzen, Berichte von Zeitzeug*innen und eine umfangreiche Literatur- und Quellensammlung komplettieren den Band. Annette Scheersoi, Professorin für Biologiedidaktik an der Universität Bonn, greift im Abschlusskapitel „Dioramen – Zeitzeugen oder zeitlos?!“ die Frage auf, welchen didaktischen Wert Dioramen naturkundlicher Museen in der heutigen Zeit erfahren.

Udo Becker absolvierte an der Senckenberg-Schule eine Ausbildung zum technischen Assistenten für naturkundliche Museen und Forschungsinstitute und erlernte anschließend den Beruf des Zoologischen Präparators. In dieser Profession ist er seit 1985 bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung tätig. Seine Leidenschaft gilt neben diesem vielfältigen Beruf der Beschäftigung mit der Historie der zoologischen Präparation sowie der Geschichte der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, des Frankfurter Naturmuseums und dessen historisch bedeutsamen Exponaten.

Annette Scheersoi ist Professorin für Biologiedidaktik an der Universität Bonn. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Biologielernen anaußerschulischen Lernorten. Hierbei befasst sie sich vor allem mit Fragen der  Interessenentwicklung. Mit Museen verband sie schon immer eine besondere Affinität.

Udo Becker
mit einem Beitrag von Annette Scheersoi
Senckenbergs historische Dioramen
2020, 132 Seiten, 106 Abbildungen
durchgehend farbig, 20 x 22,5 cm, broschiert,
ISBN 978-3-510-61417-2,
Senckenberg-Buch 85, 14,90 Euro
www.schweizerbart.de/9783510614172

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Pressematerial

pmdioramen 8.12.2020

Udo Becker mit einem Beitrag von Annette Scheersoi Senckenbergs historische Dioramen 2020, 132 Seiten, 106 Abbildungen durchgehend farbig, 20 x 22,5 cm, broschiert, ISBN 978-3-510-61417-2, Senckenberg-Buch 85, 14,90 Euro www.schweizerbart.de/9783510614172

Senckenbergs historische Dioramen

Das Ostafrika-Diorama wurde 1908 eröffnet. Die Szenerie im Hintergrund erschuf der Heddernheimer Maler Carl Nebel (1865–1939). Foto: Senckenberg

Senckenbergs historische Dioramen

Die Präparatoren Adam (1841– 1913) und August Koch (1864– 1944) vollendeten 1910 das Diorama „Arktische Gruppe“. Foto: Senckenberg

Senckenbergs historische Dioramen

Christian Kopp (1893–1952) (rechts) und August Koch (1864–1944) beim Präparieren des Elchs für das Diorama „Frankfurter Urlandschaft“. Aufnahme: Otto Emmel

Dioramen Ausstellung

Für das heutige Wölfe-Diorama wurden zwei Tiere aus der alten Lebensgruppe von Präparator Hans Pape (1925–2012) neu gestaltet und um ein weiteres Exemplar ergänzt. Der Maler Heinz Woelcke (1888– 1963) schuf den Hintergrund. Foto: Senckenberg/Tränkner

Senckenbergs historische Dioramen

Das Diorama „Rentiere“ gehörte 1936 zu den ersten der Reihe „Tiere der Heimat“ und ist heute noch im Originalzustand. Der Maler Wilhelm A. Lefèbre (1873–1974) schuf den Hintergrund. Foto: Senckenberg/Tränkner