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Exklusive Mitflugzentrale in Zeiten des Klimawandels

Zugvögel helfen nur bestimmten Pflanzenarten in den Norden abzuwandern


Mit Hilfe von Zugvögeln in den Norden umziehen, wenn es im Süden durch den Klimawandel zu warm wird – eigentlich eine tolle Idee für wenig mobile Pflanzen. Eine neue Studie im Fachjournal „Nature“ zeigt nun, dass das entgegen bisheriger Annahmen aber lediglich bei wenigen Pflanzenarten funktionieren dürfte. Demnach reisen nur die Samen der Pflanzenarten als blinder Passagier bei Zugvögeln nordwärts mit, deren Fruchtperiode sich mit dem Frühjahrszug überschneidet. Zudem liegt die Last der potenziellen Ausbreitung der Pflanzen in kühlere Gefilde auf den Federn einiger weniger paläoarktischer Vogelarten.

Der Klimawandel bringt es mit sich, dass Pflanzen ihre Verbreitungsgebiete in den Norden verlagern müssen, um in ihrer klimatischen Komfortzone zu bleiben. Die meisten Samen werden im Radius von einem Kilometer um die Ursprungspflanze ausgebreitet – von allein schaffen es die Pflanzen daher nur sich über kurze Strecken auszubreiten. Hier kommen die Milliarden an Zugvögeln als Mitflugzentrale für Samen ins Spiel. Die Vögel könnten – so die Theorie – Samen über weite Strecken transportieren und den Pflanzen helfen, neue Gebiete im Norden zu besiedeln.

Soweit die Idee. Ob das aber auch in der Praxis funktioniert, hat ein Team von 18 Wissenschaftler*innen aus dreizehn europäischen Forschungseinrichtungen, darunter Dr. Jörg Albrecht, Wissenschaftler am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, unter Leitung der Universität Cádiz überprüft. Die Wissenschaftler*innen konzentrierten sich auf Pflanzenarten mit fleischigen Früchten, weil diese besonders durch Zugvögel gefressen und ausgebreitet werden und ein wichtiger Bestandteil gemäßigter und mediterraner Waldgebiete sind. Die Forscher*innen ermittelten in dreizehn Wäldern innerhalb Süd-, Mittel- und Nordeuropas von welchen Vogelarten solche Pflanzen gefressen werden und wo die Pflanzensamen daher potenziell an anderer Stelle wieder ausgeschieden werden könnten.

Das Ergebnis ist ernüchternd: „Nur 35 Prozent der Pflanzenarten mit fleischigen Früchten werden von Zugvögeln gefressen, die auf der Rückkehr aus den Überwinterungsgebieten sind und danach nordwärts weiterfliegen. Bei über achtzig Prozent dieser Pflanzenarten waren die Vögel, die wir beim Fressen beobachtet haben, aber auf dem Weg in den Süden, also genau dahin wo es die Pflanzen noch wärmer haben“, sagt Albrecht. „Hinzukommt, dass die Vögel während des Zugs in ihre Überwinterungsgebiete im Süden ungefähr dreimal so viel fressen wie auf ihrer Reise in ihre Brutgebiete im Norden.“

Aber es gibt noch ein zweites Problem: Nicht nur fliegen weniger Pflanzensamen gen Norden als Richtung Süden, sondern es werden auch nur bestimmte nah verwandte Arten mit speziellen Eigenschaften transportiert. Nur wenn eine Pflanze im Frühjahr Früchte trägt in deren Inneren Samen stecken, können diese auch von Zugvögeln gefressen werden, die gerade aus den Überwinterungsgebieten nach Norden in ihre Brutgebiete ziehen. Daher werden potenziell nur Samen von Pflanzenarten nach Norden transportiert, deren Fruchtperiode sich mit dem Frühjahrszug überschneidet, wie beispielsweise Wacholder und Efeu.

Zusätzlich hat das Team noch eine weitere Entdeckung gemacht: Die Pflanzenarten werden fast ausschließlich von paläoarktischen Vögeln gefressen und ausgebreitet. Diese Vögel haben ihr Winterquartier in Südeuropa oder Nordafrika und kehren früher als weiter südlich überwinternde afro-paläarktische Zugvögel zurück. Einige Arten, die auf dem europäischen Kontinent im Allgemeinen sehr häufig und zahlreich vorkommen, haben bei der Ausbreitung gen Norden sogar eine absolute Schlüsselrolle inne. Für die Pflanzen mit fleischigen Früchten in den Wäldern des Mittelmeerraums ist das die Mönchsgrasmücke und in den Wäldern der gemäßigten Breiten die Amsel.

„Zugvögel helfen tatsächlich Pflanzen mit dem Klimawandel Schritt zu halten, aber eben nur einer Minderheit und nur bestimmten Arten. Dieser Filter wird die Bildung der neuen Pflanzengemeinschaften in nördlichen Gebieten stark beeinflussen und könnte in der neuen Heimat Ökosystemleistungen, wie zum Beispiel die Produktion von Pflanzenbiomasse und den Aufbau ökologischer Lebensgemeinschaften auf höheren Ebenen der Nahrungskette, beeinträchtigen. Zudem ist diese Form der Ausbreitung besonders an einzelne Vogelarten gebunden, von denen einige im Mittelmeerraum sowohl legal als auch illegal stark bejagt werden. Das macht den Transport störanfälliger als die Verbreitung durch viele Vogelarten“, kommentiert Albrecht die Ergebnisse.

Publikation: Gonzalez-Varo, J. P. et al. (2021): Limited potential for bird migration to disperse plants to cooler latitudes. Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03665-2

Pressematerial

Wacholder Juniperus

 

Pflanzenarten können nur durch Zugvögel potenziell in den kühlere Breiten abwandern, wenn sich ihre Fruchtperiode sich mit dem Frühjahrszug gen Norden überschneidet. Das ist zum Beispiel bei Wacholder (Juniperus) der Fall. Foto: Caleb Pudwell / Unsplash

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Auch Stechpalmen (Ilex aquifolium) tragen Früchte, wenn Singdrosseln (Turdus philomelos) in Europa nordwärts fliegen und werden daher potenziell von ihnen in diese Richtung ausgebreitet. Copyright: David Chapman

Pech für den Roten Hartriegel (Cornus sanguinea), Mönchsgrasmücke (Sylvia Atricapilla),

 

Pech für den Roten Hartriegel (Cornus sanguinea): Da die Pflanze nur im Herbst Früchte trägt in deren Inneren Samen stecken, kann sie die Mönchsgrasmücke (Sylvia Atricapilla), die dann auf dem Weg gen Süden ist, bestenfalls in wärmere Breiten verteilen. Copyright. Luis Ojembarrena