Der Faden zur Nadel: Wie unsere Vorfahren die heimische Flora nutzten
DNA aus Sedimenten gibt Auskunft über den Gebrauch von Pflanzen durch Menschen der Altsteinzeit
Unter der Leitung der Universität Oslo hat ein internationales Forschungsteam aus den Sedimenten der armenischen „Aghitu-3“-Höhle Pflanzen-DNA extrahiert und analysiert. Die Höhle wurde vor etwa 40.000 bis 25.000 Jahren von Menschen des Jungpaläolithikums als Unterschlupf genutzt. Eine detaillierte Auswertung der DNA zeigt, dass die Bewohner*innen der Höhle zahlreiche Pflanzenarten zu verschiedenen Zwecken genutzt haben könnten, unter anderem als Medizin, Farbstoff oder Garn. Geleitet wurden die Ausgrabungen von der Nationalen Akademie der Wissenschaften von Armenien und dem Forschungsprojekt The Role of Culture in Early Expansions of Humans (ROCEEH), welches an der Universität Tübingen und dem Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt angesiedelt ist. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Journal of Human Evolution“.
Auf den ersten Blick unterscheidet die „Aghitu-3-Höhle“ nichts von den anderen zahlreichen Basalthöhlen im Hochland Südarmeniens. Doch die 11 Meter tiefe, 18 Meter breite und 6 Meter hohe Höhle hat es in sich: Sie ist eine von wenigen Fundstellen für die Zeit des Jungpaläolithikums in der Republik Armenien. In den Höhlenedimenten finden sich Informationen zur menschlichen Besiedelung über einen Zeitraum von etwa 39.000 bis 24.000 Jahren vor heute. „In der Höhle wurden bereits Steinartefakte, Überreste von Tieren, Knochen, Werkzeuge, Muschelperlen sowie Holzkohle von Lagerfeuern gefunden“, erklärt der wissenschaftliche Leiter der Grabung Dr. Andrew Kandel vom Projekt ROCEEH an der Universität Tübingen und fährt fort: „Obwohl wir wissen, dass Pflanzen im Leben der prähistorischen Menschen nicht nur als Nahrungsmittel eine grundlegende Rolle spielten, bleiben Pflanzenteile wie Samen, Blätter, Früchte und Wurzeln – da sie organisch sind und in der Regel schnell zerfallen – nur selten erhalten und machen uns so die Erforschung schwer.“
Um dennoch Auskunft über die Pflanzennutzung in der Altsteinzeit geben zu können, extrahierte das Forscher*innen-Team pflanzliche DNA aus den Höhlensedimenten. Die Ergebnisse seiner Analysen zeigen, dass in Zeiten menschlicher Nutzung der Höhle mehr Pflanzenerbgut in den Sedimenten zu finden ist als in Zeiten, in denen die Menschen die Höhle seltener aufsuchten. „Wir führen daher die meisten der gefundenen Pflanzen auf menschliche Tätigkeiten zurück. Die Menschen haben die Pflanzen während ihrer täglichen Aktivitäten gesammelt. Nach dem Gebrauch ließen sie die Pflanzenreste in der Höhle liegen und die Pflanzen-DNA blieb – zu unserer Freude – in den Sedimenten erhalten. Durch die Analyse der DNA und durch den Vergleich mit bereits identifizierten Pollentypen erhalten wir ein vollständigeres Bild von den Pflanzen, die den Menschen zur Verfügung standen, sowie von der Art und Weise, wie die Menschen sie genutzt haben könnten“, erläutert Ko-Autorin PD Dr. Angela Bruch vom Projekt ROCEEH am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Insgesamt 43 Pflanzenordnungen konnten die Forscher*innen identifizieren – bis auf 5 sind diese für die Nutzung durch den Menschen geeignet, heißt es in der Studie. Einige der Pflanzen haben medizinische Eigenschaften, während andere als Nahrungsmittel, Aromastoffe oder Mückenschutzmittel verwendet werden können. Die Funde von DNA aus Pflanzen, die Farbstoffe oder Fasern liefern, lassen vermuten, dass die Menschen in dieser Region Pflanzen zur Herstellung von Nähgarnen oder Schnüren und zum Auffädeln von Muschelperlen verwendet haben. „Dieser Fund fügt sich wie ein fehlendes Puzzleteil ins Gesamtbild von ‚Aghitu-3‘ ein – in der Höhle wurden bei unseren Ausgrabungen auch Nadeln aus Tierknochen gefunden. Wir wissen nun mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass unsere Vorfahren in der Höhle genäht haben und wie sie dies taten“, so Kandel.
Die Analyse von Pflanzen-DNA aus Sedimenten ist laut den Forschenden ein aufregendes neues Instrument zur Untersuchung des menschlichen Verhaltens in prähistorischen Zeiten. „In Zukunft werden wir die Methode auch an anderen Fundstellen einsetzen, um noch mehr über unsere Vorfahren zu erfahren“, schließt Bruch.
Publikation: Anneke T.M. ter Schure, Angela A. Bruch, Andrew W. Kandel, Boris Gasparyan, Rainer W. Bussmann, Anne K. Brysting, Hugo J. de Boer, Sanne Boessenkool (2022): Sedimentary ancient DNA metabarcoding as a tool for assessing prehistoric plant use at the Upper Paleolithic cave site Aghitu-3, Armenia, Journal of Human Evolution, Volume 172,
https://doi.org/10.1016/j.jhevol.2022.103258.