Strauß

Strauß voller Überraschungen

Fossilfunde werfen neues Licht auf die Evolution des afrikanischen Laufvogels


Senckenberg-Wissenschaftler Gerald Mayr hat gemeinsam mit seinem Kollegen Nikita Zelenkov von der Russischen Akademie der Wissenschaften Vogelfossilien aus Zentralasien untersucht, die bislang den Kranichartigen zugeordnet wurden. Die Forscher zeigen nun, dass es sich stattdessen um frühe Vertreter der Straußenvögel handelt. Bisher war die frühe Evolutionsgeschichte der Strauße weitgehend unbekannt. Die Neuinterpretation der Fossilfunde zeigt, dass frühe Vorfahren dieser Vögel ein unerwartetes Merkmalsmosaik aufweisen. Laut der heute im Fachjournal „Ornithology“ veröffentlichten Studie lag der Ursprung der Strauße in Asien – heute sind die großen, flugunfähigen Vögel ausschließlich in Afrika heimisch.

Während die meisten Vögel vier Zehen besitzen, hat der Strauß die Zahl der Zehen im Laufe seiner Evolution auf zwei reduziert. Dieser Fußbau ist unter den heutigen Vögeln einzigartig und verhilft dem afrikanischen Vogel unter anderem zu seiner hohen Laufgeschwindigkeit. „Auch die Arten der Ergilornithidae, einer Vogelgruppe, die vor etwa 35 bis 10 Millionen Jahren in Asien weit verbreitet war, besitzen nur zwei Zehen. Aufgrund dieses Merkmals wurde schon früher über eine Verwandtschaft dieser Vögel mit den Straußen spekuliert. Diese Hypothese fand aber keine breite Anerkennung und die Ergilornithidae wurden den Kranichartigen zugeordnet“, erklärt Dr. Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt.

Fossilfunde der mittelgroßen und sehr langbeinigen Ergilornithidae sind an einigen asiatischen Fundstellen – insbesondere in der Mongolei – vergleichsweise häufig. Bisher waren aber nur fossile Beinknochen bekannt. Mayr und sein russischer Kollege haben nun weiteres Material dieser Vögel und der mit ihnen nahe verwandten Eogruidae aus einer Sammlung in Moskau untersucht. „Darunter befindet sich auch der erste bekannte Schädelrest dieser Tiere. Die Funde stammen aus den 1970er Jahren – blieben aber bis zu unserer Untersuchung unbearbeitet“, erläutert Mayr und fährt fort: „Wir konnten anhand eindeutiger Skelettmerkmale zeigen, dass es sich bei den Eogruidae und Ergilornithidae tatsächlich um asiatische Straußenvögel handelt!“

Die Evolutionsgeschichte der Strauße war bislang weitgehend ungeklärt und die ältesten unstrittigen Funde dieser Vögel stammen aus dem Miozän Afrikas und sind etwa 20 Millionen Jahre alt. Der Frankfurter Ornithologe und sein Kollege schließen aus den Funden, dass die Vorfahren der heutigen Strauße im frühen Känozoikum – vor etwa 40 Millionen Jahren – weit über die Nordhalbkugel verbreitet waren. Laut der Studie entwickelten sich die Vögel in den Steppen Zentralasiens zu den modernen, zweizehigen Straußen und besiedelten dann vor etwa 20 Millionen Jahren Afrika, wo sie noch heute heimisch sind. Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist zudem, dass sich frühe Vorfahren der Strauße in einigen Merkmalen sehr deutlich von ihren heutigen Verwandten unterschieden.

„Interessanterweise ähneln die Knochen der Eogruidae und Ergilornithidae denen der ausgestorbenen, knapp einen Meter großen Vogelgattung Palaeotis, die unter anderem in der hessischen Fossilfundstelle Grube Messel gefunden wurde. Deren Verwandtschaftsbeziehungen waren bisher auch umstritten, wenngleich eine Verwandtschaft mit Straußen diskutiert wurde“, ergänzt Mayr und resümiert: „Die Neuinterpretation dieser Funde liefert uns ein neues und in sich schlüssiges Bild der Evolutionsgeschichte der Strauße!“

Publikation: Gerald Mayr, Nikita Zelenkov, Extinct crane-like birds (Eogruidae and Ergilornithidae) from the Cenozoic of Central Asia are indeed ostrich precursors, Ornithology, 2021;, ukab048, https://doi.org/10.1093/ornithology/ukab048

Pressematerial

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Fußknochen von Straußenvorfahren aus dem Känozoikum von Europa (Palaeotis) und Asien (Eogrus, Proergilornis, Urmiornis). Die Reduktion der Gelenkrolle für die zweite Zehe (roter Pfeil) kennzeichnet Straußenvögel; diese Gelenkrolle ist bei Palaeotis und Eogrus noch in ursprünglicher Größe vorhanden. Foto: Senckenberg/Mayr

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Schädel von Palaeotis weigelti aus dem frühen Eozän (vor 48 Millionen Jahren) der Grube Messel bei Darmstadt, eines Vertreters der Ergilornithidae (Proergilornis oder Sonogrus) aus dem späten Eozän (vor ca. 35 Millionen Jahren) der Mongolei, sowie eines rezenten Straußes. Die roten Pfeile kennzeichnen Vertiefungen für Nasendrüsen, die ein charakteristisches Merkmal heutiger Strauße sind. Foto: Senckenberg/Mayr

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Skelett von Palaeotis weigelti aus dem frühen Eozän (vor 48 Millionen Jahren) der Grube Messel bei Darmstadt. Foto: Senckenberg/Haupt

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Rekonstruktionszeichnung von Ergilonis rapidus aus dem frühen Oligozän-Eozän (vor etwa 32-34 Millionen Jahren) der Mongolei. Copyright: Borissiak Paleontological Institute.